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Die Sünde (Schlangenzauber)
    • Tempera und Öl auf Karton
    • Bildmass: 80.5 x 54 cm
    • Inv.-Nr. 8248
    • Aargauer Kunsthaus Aarau
    • © ProLitteris, Zürich
    • Max von Moos (1903 – 1979) gilt als einer der wichtigsten Vertreter des Surrealismus in der Schweiz. Er suchte jedoch nie den Anschluss an die Pariser Surrealisten, sondern blieb sein ganzes Leben lang im Elternhaus wohnhaft und entwickelte seine höchst eigenständige surreale Ikonografie parallel zur Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbeschule Luzern. Das frühe Werk Schlangenzauber (1930), das 2018 auch in der grossen Übersichtsausstellung Surrealismus Schweiz im Aargauer Kunsthaus hing, zeigt eine weibliche Figur, die sich aus geometrischen Formen zusammensetzt: Ein Rechteck umreisst die Beine und den Rumpf, zwei Kreise bezeichnen die Brüste. Hals und Kopf wirken collagiert, fein geschwungene Lippen deuten ein leichtes Lächeln an. Zwischen ihren knöchernen Fingern kringelt sich eine dünne schwarze Schlange in die Höhe. Figur und Schlange sind in direktem Blickkontakt.

      Beim Betrachten des Bildes kommt einem christlich geprägten Publikum vermutlich sofort die Geschichte von Eva in den Sinn, die von einer Schlange dazu verleitet wurde, eine Frucht vom Baum der Erkenntnis zu pflücken. Seither gilt das Tier als Symbol für Verführung, aber auch als Verkörperung des Bösen. Von Moos war sich dessen mit Sicherheit bewusst, denn er entstammte einer streng katholischen Familie. Die Auseinandersetzung mit Schuld und Sühne begleitete ihn von Kindesbeinen an und äusserte sich unter anderem in seinem problematischen Verhältnis zu Frauen. Wäre denkbar, dass er hier die Rollen verkehrte und anstelle der Schlange die lächelnde Figur, die mit der linken Hand ihren Schoss betont, zur Verführerin erklärte?

      Zentrale Bedeutung kommt im Bild Schlangenzauber auch den Blickwechseln zu, wobei auffällt, dass von Moos die Figur als einäugig charakterisiert. Das Motiv der Augen und mit ihnen das Sehen oder Nicht-Sehen, das Blindsein oder Erblinden, findet sich schon früh in von Moos’ Bildwelt. Erneut tritt hier die ambivalente Beziehung zwischen Schlange und Figur hervor: Wer hypnotisiert oder blendet wen? Oder tritt die Schlange, wie der Bildtitel nahelegt, am Ende gar als Zauberin, als Mittlerin der Sehkraft auf? Auf eine solche, für von Moos ungewohnt positive Deutung der Schlange weist eine Schriftenmalerei von 1932 hin, in welcher der Künstler in Schönschrift eine Erzählung aus den Gesta Romanorum, einer weit verbreiteten spätmittelalterlichen Exempelsammlung wiedergibt. Auch hier ist der christliche Gehalt gegeben – verpackt in ein Stück Moral- und Tugendlehre, in der eine Schlange einem blinden König das Augenlicht schenkt.

      Es sind diese Mehrdeutigkeiten, welche die Spannung des Bildes erzeugen, ohne in die düstere,
      pessimistische Grundstimmung zu fallen, mit der von Moos’ Schaffen oft assoziiert wird. Die leuchtenden Blau- und Orangetöne und der pastellfarbene Hintergrund verleihen dem Schlangenzauber eine Leichtigkeit, die Schlange wirkt eher verspielt als bedrohlich.

      Bettina Mühlebach